MIDSOMMER – Sind wir nun an der Schwelle ins Neue-Mensch-Sein angekommen, sind wir zu dieser Sommersonnenwende dabei sie zu überschreiten?
Dazu ein Ausschnitt aus „Rückkehr nach Utopia“ aus dem Kapitel 17 MIDSOMMER:
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Mit einer um vieles zuversichtlicheren Stimmung ging sie weiter. Ihre nackten Zehen gruben sich in den noch warmen Sand und sie spürte die wohltuende massierende Wirkung auf ihren Fußsohlen. Es war ein so herrlicher, lauer Abend und den wollte sie unbedingt ohne negative Grübeleien genießen.
„Da höre ich doch Trommeln, wo werden die denn gespielt? Da möchte ich hin.“ Und nach der kleinen Biegung sah sie die Gruppe junger Leute, die um ein kleines Feuer saßen. Männer und Frauen hatten bunte Kleidung an, alle trugen Kränze auf dem Kopf und waren guter Dinge.
„Komm zu uns, es ist Midsommer, da darf keiner alleine sein, komm, sei unser Gast. Wir haben hier für dich noch einen Platz, und einen Kranz bekommst du auch.“
Ohne Vorbehalte und ohne zu zögern ging sie zu ihnen. Alle sprangen fast gleichzeitig auf, umarmten sie und stellten sich vor. Und obwohl sie sich fremd waren, fühlte Eva sich sofort dazugehörig. „Danke, dass ihr mich einladet, ich heiße Eva und freue mich sehr.“
„Wir feiern hier nach einem alten Brauch, den schon unsere Vorfahren zelebrierten. Bei uns in Deutschland ist er leider irgendwann in Vergessenheit geraten. Jedoch haben wir schon als Kinder im Urlaub in Schweden Midsommer kennengelernt. Seit damals sind wir Freunde und unsere Familien sind sich immer wieder begegnet. Wir haben uns nicht aus den Augen verloren, und seitdem wir erwachsen sind, treffen wir uns jedes Jahr. Für uns ist es nicht nur eine Fete, es ist auch immer wieder ein besonderes Geschenk, wenn wir uns gesund und fröhlich wiedersehen.“
„Es ist ein Geschenk des Lebens und da erneuern wir unser Versprechen, uns treu zu bleiben. Wir erzählen uns unsere Träume und Wünsche, machen gemeinsam Pläne. Ich bin immer sehr darauf gespannt zu erfahren, was wir so übers Jahr daraus gemacht und erlebt haben.“
„Diese kürzeste Nacht des Jahres zu würdigen, wo das Licht die Oberhand hat, gemeinsam zu verbringen, ist uns allen sehr kostbar. Heute Nacht werden wir nicht schlafen, es ist sowieso nur ein paar Stunden dunkel. Weiter im Norden bleibt es sogar hell, deshalb sprechen die Menschen dort von der Zeit der Weißen Nächte. Eva, hast du das auch schon mal erlebt?“
„Oh, leider nicht“, lachte sie, „jedoch weiß ich, dass wir morgen den längsten Tag des Jahres haben. Nur irgendwie ein paar Sekunden ist er länger als die anderen, glaube ich, aber ist ja nicht so wichtig.“
„Genau, ist nicht so wichtig, jedoch die kürzeste Nacht muss gewürdigt werden, und wenn morgen die Sonne aufgeht, werden wir sie gebührend begrüßen.“
Eva fühlte sich im Kreis dieser netten Leute sofort wohl und war dankbar, mal nicht alleine zu sein.
„Jetzt wo wir vollzählig sind, möchte ich für uns einen alten irischen Segen sprechen und so mit unserem Fest beginnen.“ Miguel hatte sich nahe ans Feuer gestellt und seine linke Hand auf sein Herz gelegt, die rechte obenauf. „Bitte tut es mir gleich und schließt eure Augen“, forderte er die anderen auf. Dann nahm er einen tiefen Atemzug und sprach mit fester und gleichzeitig zärtlicher Stimme:
„Sonnenschein leuchte in
deinem Herzen und erwärme es,
bis es glüht wie
ein großes Torffeuer.
Mag der Fremde dann eintreten
und sich daran wärmen.“
„Eva, du bist heute unser Ehrengast und solltest unseren Festplatz nun mit den Blüten des Sommers segnen.“
Verblüfft wollte sie widersprechen, aber da drückte ihr schon eine der Frauen einen kleinen Weidenkorb in die Arme. Voller Entzücken nahm Eva den süßherben Duft der Rosen wahr und griff hinein. „Nun denn, ich traue mich“, sagte sie feierlich und ging von einem zum anderen und streute die Blütenblätter in die Luft.
Tief ergriffen wurde sich Eva ihrer Wichtigkeit bewusst, jedoch bevor sie wieder melancholisch werden konnte, bekam sie ein Glas Wein gereicht.
Verwundert schmunzelnd griff sie nach dem geschliffenen Kristallglas, in dem ein dunkelvioletter Rotwein funkelte. Erstaunt sah sie sich um. Alles war festlich geschmückt und die rosaroten Rosenblätter, die sie verstreut hatte, rundeten das schöne Bild ab. Es gab sogar ein kleines Buffet auf einem weißen Tischtuch.
„Keine Angst, wir sind nicht spießig, nur ein bisschen nostalgisch angehaucht. Gläser, Teller und das alte Tafeltuch sind von meiner Lieblingstante, und es ist mir immer wichtig, dies mitzubringen. Das ist so ein Symbol, das uns an unsere lieben Verstorbenen erinnert“, lachte einer der Männer.
„Bitte greif zu und lass es dir schmecken.“ „Du musst unbedingt von den Holunderküchlein probieren, die sind die Hauptspeise zu Midsommer. Ich habe gestern vom Holunder am Haus Blütendolden geerntet und sie in Teig ausgebacken. Der Holunder ist seit jeher ein starker Schutzbaum. Die Germanen glaubten, dass darin, an der Pforte zur Anderswelt, die Göttin Freya wohnte, sie nannten sie auch Holla. Noch heute kennen wir sie aus dem Märchen, wie du leicht erraten kannst, es ist Frau Holle.“
„Nun lasst Eva doch erst mal in Ruhe, wie soll sie denn entspannt essen, wenn ihr sie alle so bedrängt.“ Zwar mit fester Stimme, jedoch mit einem verständnisvollen Schmunzeln, hatte Miguel sie vor den anderen zu beschützen versucht. „Sie ist doch schon ganz verlegen.“
„Ist schon gut“, hatte sich Eva geräuspert und gespürt, wie ihre Wangen zu glühen begannen.
Jedoch, es war wirklich köstlich, die Holunderblütenküchlein, die mit Puderzucker bestäubt waren, der Vanillepudding mit verschiedenen roten Beeren, die kleinen Kräuterbrote mit dem Pesto und dem würzigen Käse, die bunten Salate und die Gemüsepuffer.
„So was Leckeres habe ich schon lange nicht mehr gegessen und mit dem Rotwein muss ich vorsichtig sein, denn morgen früh muss ich leider arbeiten. Der ist so gut, den werde ich in ganz kleinen Schlückchen genießen.“
„Wann habe ich das letzte Mal gefeiert, gelacht und getanzt? Wann war ich das letzte Mal einfach nur ich? Ach es ist mühsam – Grübeltante – du musst diesen Abend einfach genießen. Du musst, denn dein Konto für schöne Erinnerungen braucht dringend eine Einzahlung.“ Eva schmunzelte über sich selbst und war froh, ihren eigenen Humor wiedergefunden zu haben.
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Um Mitternacht wollten sie ein Wunschritual machen. „Du kannst dir schon mal überlegen, was du dir am meisten wünscht, welcher deiner Wünsche für das nächste Jahr der größte ist“, hatten sie Eva aufgefordert. Aber Eva hatte soviel gelacht und getanzt, dass sie keinen Gedanken daran verwendet hatte. Es war herrlich, sie hatte einfach keine Zeit zum Nachdenken gefunden.
Als dann das Feuer heruntergebrannt war und nur noch die Glut leuchtete war es soweit. Nach und nach sprach jeder das aus, was ihm am wichtigsten war, und es schien ganz leicht zu sein. Nur Eva zögerte. „Ich kann das nicht“, flüsterte sie und versuchte den Kloß in ihrem Hals herunterzuschlucken, „ich weiß nicht wie.“
„Aber das ist doch ganz einfach, lass dein Herz sprechen, das kannst du.“
Alle schauten sie erwartungsvoll an. Und Eva nahm ihren Kranz vom Kopf, gab all ihre Sorgen hinein und warf ihn in die Glut. Erst qualmte es nur, aber dann stoben Flammen auf, erfassten ihn und machten daraus einen Lichtkranz. Als sie den würzigen Rauch roch wusste sie, dass nun alles gut werden würde. Erstaunt hörte sie ihre Stimme, die seltsam fern schien.
„Ich wünsche mir ein Zuhause, in dem ich glücklich bin, wo ich mit Menschen lebe, die zu mir gehören und ich zu ihnen.“ Dann konnte sie nicht weitersprechen und Tränen kullerten über ihre Wangen. Seltsam, wie sehr sie ihre Sehnsucht nach Geborgenheit und die Achtsamkeit der anderen berührten.
„Das war schon sehr gut“, ermunterte sie eine der Frauen, „auch wir haben diesen Traum. Noch wohnen wir über das ganze Land verteilt und treffen uns in manchem Jahr nur zu diesem Fest. Jedoch in Zukunft möchten wir gemeinsam leben. Vielleicht möchtest du auch dabei sein?“
„Aber egal wie, du musst erst deinen Wunsch noch zweimal wiederholen, denn nur dreimal gesprochen kann er auch wirklich in Erfüllung gehen. Und das er dir wichtig ist, dass ist nicht zu übersehen.
„So, und nun springen wir über die Glut, das gibt gute Energie und bringt Harmonie. Ich darf dir meine männliche Kraft schenken und du mir deine weibliche“, lachte Miguel. Er hatte Eva seine Hand entgegengestreckt und sah sie erwartungsvoll an.
„Diese Augen“, dachte Eva, „diese geheimnisvollen blauen Augen, die jetzt Nachtblau schimmern und in denen Tausende Goldplättchen glitzern.“
Obwohl sie schon Stunden mit den anderen zusammen war, bemerkte sie erst jetzt, dass die kleine Gruppe genau acht Paare ergab. Eva hatte als Frau eine Lücke geschlossen, aber nicht als Lückenbüßerin, sondern als die Kostbarkeit, die die Gruppe brauchte, um vollständig zu sein. Es war schon seltsam, mit welcher Selbstverständlichkeit diese Menschen einander achteten. Und es war ungewöhnlich, sich so glücklich zu fühlen, so etwas Schönes zu erleben. War sie etwa dabei, sich in diesen Mann zu verlieben? Oder war es nur Dankbarkeit für die Zuneigung, die sie bekam?
„Komm, Eva, wir sind an der Reihe“, erinnerte er sie und Eva fühlte sich nicht einmal bei ihren abschweifenden Gedanken ertappt.
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In dieser Nacht wurde von vielem erzählt, was Eva völlig fremd war. Sie hatte noch nie davon gehört, dass Rituale für das Leben wichtig sind. Sie konnte sich zwar an Bräuche aus ihrer Kindheit erinnern, aber ihr war gar nicht mehr bewusst, was sie da gemacht hatte.
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Später, als der Himmel langsam hell wurde, hatte sich die kleine Gruppe im Halbkreis aufgestellt und schweigend gewartet, bis die Sonne als riesiger orangeroter Feuerball hinter dem Horizont aufging. Andächtig hatten sie geschwiegen, die Luft hatte geknistert oder die verkohlten Holzscheite? Aber das Feuer war längst ausgegangen und konnte keine Geräusche mehr abgeben. Alle waren wie in einer fiebrigen Anspannung und als dann die Sonne am wolkenlosen Himmel aus dem Meer stieg, da hatten sie gejubelt, sich umarmt und waren in einen Freudentaumel eingetaucht, der sie wie naive kleine Kinder einfach nur zu Freudensprüngen anstiftete.
Es war einer der schönsten Momente in ihrem Leben gewesen und Eva fühlte sich so, als wenn sie in einem ihrer Träume wäre. „Was geschieht mit mir?“ fragte sie sich verwundert.
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Herzlichst EliMa
mit RueckkehrNachUtopia (Telegram-Kanal) und ExternstinFAMILIE (Telegram-Chat), wo dieser Text zu hören ist